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Gerhard Stoltenberg

Der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident und Bundesminister Gerhard Stoltenberg wuchs in Bad Oldesloe auf.

Festakt zum 100-jährigen Jubiläum von Stoltenbergs ehemaliger Schule in der Stormarnhalle, 1975

Ausbildung

Gerhard Stoltenberg besuchte die Oberrealschule Bad Oldesloe. 1949 legte er das Abitur ab und studierte anschließend an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Geschichte, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie. 1952/53 nahm er an einem mehrmonatigen Besuchs- und Studienprogramm der US-Regierung für „Young Political Leaders“ teil. 1954 wurde er im Fach Geschichte promoviert, 1960 legte er ebenfalls an der Kieler Universität seine Habilitation vor.

Pressekonferenz im Schlosshotel Tremsbüttel, ca. 1975

Beruflicher Werdegang

Nach seinem Eintritt in die CDU 1947 saß Gerhard Stoltenberg im Vorstand des Kreisverbands Stormarn. Er war zudem Mitbegründer der Jungen Union in Stormarn, 1951-1959 Vorsitzender der Jungen Union Schleswig-Holstein sowie 1955–1961 deren Bundesvorsitzender. 1955-1992 gehörte Stoltenberg dem Bundesvorstand der CDU an, seit 1969 auch dem Präsidium. Ab 1961 war er zudem Mitglied des CDU/CSU-Fraktionsvorstands im Bundestag, 1969-1971 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ab 1969 war Stoltenberg in der Opposition Sprecher der CDU für Wirtschaft und Finanzen, zudem bis 1990 stellvertretender Parteivorsitzender. Ende 1971 übernahm er das Amt des Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen CDU, das er bis 1989 innehatte.

1954 wurde er als bisher jüngstes Mitglied in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gewählt und war hier in den Ausschüssen für Heimatvertriebene, Justiz und Volksbildung sowie als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Jugendfragen tätig.

1957 zog er für den Wahlkreis Schleswig-Eckernförde in den Deutschen Bundestag ein, wo er bis 1965 auch im Haushaltsausschuss saß. Als bisher jüngster Minister übernahm er im Oktober 1965 das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung und behielt dieses Amt auch während der Großen Koalition (Kabinett Kiesinger).

Im April 1971 wurde er mit einer absoluten Mehrheit für die CDU ins Amt des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten gewählt, das er 1975 und 1979 verteidigen konnte. 1977/78 amtierte er als Präsident des Bundesrats.

Im Oktober 1982 führte Stoltenberg gemeinsam mit Helmut Kohl die Koalitionsverhandlungen mit CSU und FDP und wurde im neuen Kabinett Bundesminister der Finanzen. 1983-1998 saß er für den Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde jeweils über ein Direktmandat im Bundestag und war bis 1995 Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft.

Im Rahmen einer Kabinettsumbildung wurde er im April 1989 Verteidigungsminister. Nach ungenehmigten Panzerlieferungen an die Türkei trat er am 31.03.1992 von diesem Amt zurück, blieb aber Mitglied des Bundestags und Experte der Fraktion für Wirtschafts- und Finanzpolitik. 1992–1995 koordinierte er zudem im Auftrag der Bundesregierung die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Neben seiner politischen Laufbahn arbeitete Gerhard Stoltenberg 1954-1956 als wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Wissenschaft und Geschichte der Politik an der Universität Kiel. Ab 1956 war er in Kiel Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule, 1960-1965 an der Universität Dozent für Neuere Geschichte. Zudem war er 1965 sowie 1969/70 für die Friedrich Krupp GmbH tätig, beendete diese Tätigkeiten jedoch wegen der Übernahme politischer Ämter.

Gerhard Stoltenberg mit seinen Eltern und Studienrat Ludwig bei einem Festakt in der Theodor-Mommsen-Schule Bad Oldesloe, 1967

Lebenslauf

Gerhard Stoltenberg wuchs mit zwei Brüdern als Sohn eines evangelischen Pastors zunächst in Hohenstein (heute Wangels, Kreis Ostholstein) auf. 1934 zog die Familie aufgrund der Versetzung des Vaters an die dortige Peter-Paul-Kirche nach Bad Oldesloe.

Im Januar 1944 wurde Stoltenberg als Marinehelfer zu einem Flugabwehr-Bataillon bei Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) zum Wehrdienst eingezogen. Im August 1944 wurde er nach Neufelderkoog (Kreis Dithmarschen) und im April 1945 zum Flugplatz Leck (Kreis Nordfriesland) verlegt, wo er das Kriegsende erlebte.

1958 heiratete er die Lehrerin und Zugsekretärin Margot Rann, mit der er zwei Kinder hatte.

Werk/Aktivitäten

Als Bundesminister für Wissenschaft und Forschung erreichte Gerhard Stoltenberg eine höhere Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund, trat für eine raschere Studienreform sowie die Planung von Studienplätzen in Hinblick auf den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarf ein. Neben dem Ausbau der Förderprogramme für Atomenergie und Weltraumtechnik etablierte er, beraten durch den neu gebildeten Ausschuss für Forschungspolitik, ab 1968 neue Schwerpunkte in Medizintechnik, neuen Technologien, elektronischer Datenverarbeitung und umweltschonenden Verfahren. Er initiierte die Gründung der Medizinischen Hochschule Lübeck sowie des Instituts für Meereskunde an der Universität Kiel.

Als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident trieb er den Strukturwandel von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungswirtschaft voran, lehnte aber touristische Großprojekte wie das „Atlantis“ auf Sylt ab. 1973 wurde unter Stoltenberg das bundesweit erste Landschaftspflegegesetz verabschiedet. Trotz Bürgerprotesten setzte er den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf (Kreis Steinburg) durch. Stoltenberg sprach sich gegen die Schaffung von Großgemeinden aus und vertrat eine eher konservative Schulpolitik unter Beibehaltung des gegliederten Schulwesens.

Nach Kritik an der Ämterbesetzung und Berichterstattung kündigte er mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht 1978 den Rundfunkstaatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk (NDR), sodass 1980 ein reformierter Vertrag geschlossen wurde.

Stoltenberg ließ den Schleswig-Holstein-Tag einführen, auf dem 1978 erstmals die Schleswig-Holstein-Medaille für Verdienste um Landesgeschichte, Volkskunst und Landschaftspflege verliehen wurde.

Sein Schwerpunkt als Finanzminister lag auf der Haushaltskonsolidierung durch Sparprogramme und die Privatisierung von Staatsbetrieben. Er setzte eine mehrstufige Steuerreform mit Steuersenkungen, dem Abbau von Sonderregelungen sowie einer Erhöhung familienpolitischer Leistungen durch. 1986/87 war er an der Einrichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaft beteiligt.

Als Verteidigungsminister war er für die Auflösung der Nationalen Volksarmee der DDR und die Eingliederung unbelasteter Soldaten in die Bundeswehr bei gleichzeitiger Verringerung der Truppenstärke zuständig. Er erreichte die Integration der gesamten wiedervereinigten BRD in die NATO. Das „Stoltenberg-Papier“ von 1992 gilt als Basis für die folgende Umwandlung der Bundeswehr von einer reinen Verteidigungs- in eine weltweit tätige Einsatzarmee.

Bedeutung

Gerhard Stoltenberg prägte in mehreren Ämtern über vier Jahrzehnte die Politik der BRD. Er galt als Gegner einer staatlichen Überregulierung der Wirtschaft und betonte, in Anlehnung an Ludwig Erhard, die Eigenverantwortung und Initiative der Bürger:innen als Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft. Zeitgenoss:innen würdigten ihn für seinen politischen Stil der Sachlichkeit.

Ehrenämter

1968 Gründungs- und Vorstandsmitglied der Hermann-Ehlers-Stiftung
um 1975 Mitglied des Senats der Max-Planck-Gesellschaft
1979–1995 Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
1993–2001 Stellvertretender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung
1998–2001 Vorsitzender der Otto-von-Bismarck-Stiftung

Ehrungen und Preise

1969 Großes Verdienstkreuz der BRD
1973 Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der BRD
1974 Ehrenbürger der Gemeinde Stoltenberg (Kreis Plön)
1977 Großkreuz des Verdienstordens der BRD
1989 Ehrenvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein
1991 Ehrenbürgerschaft des State of Maryland (USA)
1998 Hermann-Ehlers-Preis
1999 Ludwig-Erhard-Medaille
2001 Ehrenbürger Schleswig-Holsteins

Seit 2006 vergibt die schleswig-holsteinische CDU die Gerhard-Stoltenberg-Medaille.

Verleihung des „Goldenen Bildschirms“ im Schlosshotel Tremsbüttel, 1975

Besonderheiten

1959–1999 nahm Gerhard Stoltenberg als Mitglied der Bundesversammlung an jeder Wahl zum Bundespräsidenten teil.

Stormarner Mitglieder seiner Kabinette waren Henning Schwarz und Karl Eduard Claussen.

Stoltenberg kehrte für verschiedene private und politische Anlässe nach Stormarn zurück, z. B. zur Kreisbereisung als Ministerpräsident 1972, dem Besuch der HAKO-Werke in Bad Oldesloe, zu Veranstaltungen im Schlosshotel Tremsbüttel, Jubiläen seiner ehemaligen Schule sowie Geburtstagsfeiern für Hermann Claudius und Werner Schwarz. Seinen letzten Termin als Ministerpräsident nahm er 1982 bei der Erntedankfeier in Reinfeld wahr.

Stoltenbergs Nachlass befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Persönlichkeiten

Gustav Stoltenberg GND: 1082565717
Ernst Albrecht GND: 123444454
Ludwig Erhard GND: 118530755
Henning Schwarz GND: 119168197
Karl Eduard Claussen GND: 1035436094
Helmut Kohl GND: 118564595
Margot Stoltenberg GND: 1082565881

Familienname

Stoltenberg

vollständige Vornamen

Gerhard

Geburtsdatum

29.09.1928

Geburtsort

Kiel

Sterbedatum

23.11.2001

Sterbeort

Bonn-Bad Godesberg

Begräbnisort

Parkfriedhof Eichhof, Kiel

Geschlecht

männlich

Religion

evangelisch

Berufe

Historiker, Politiker

Funktionen, Rang

Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags (1954–1957, 1971–1982), Mitglied des Deutschen Bundestags (1957–1971, 1983–1998), Bundesminister (1965–1969, 1982–1992), schleswig-holsteinischer Ministerpräsident (1971–1982)

Ehe-/Lebenspartner

Margot Stoltenberg, geb. Rann

Kinder

Zwei Kinder

Eltern

Gustav Detlef Christian Stoltenberg (1895–1977), Christine Stoltenberg, geb. Heinemann (1893–1984)

Strukturansicht

Literatur von der Person

  • Stoltenberg, Gerhard : Wendepunkte Stationen deutscher Politik ; 1947–1990. Berlin, Siedler 1997, GVK: 223942995
  • Stoltenberg, Gerhard : Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918–1933 ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung in der Weimarer Republik. Düsseldorf, Droste 1962, GVK: 1073460800
  • Stoltenberg, Gerhard : Der Deutsche Reichstag 1871–1873. Düsseldorf, Droste-Verl. 1955, GVK: 1076214134
  • Stoltenberg, Gerhard : Schleswig-Holstein heute und morgen. Rendsburg, Möller 1978, GVK: 01619294X
  • Stoltenberg, Gerhard : Erinnerungen und Entwicklungen deutsche Zeitgeschichte 1945–1999. Flensburg, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverl. 1999, GVK: 307359603

Literatur

  • Börnsen, Wolfgang : Fels oder Brandung? Gerhard Stoltenberg - der verkannte Visionär. Sankt Augustin, Siegler 2004, GVK: 476555809
  • Wiedemeyer, Wolfgang : Gerhard Stoltenberg. Bornheim, Zirngibl 1975, GVK: 039044750
  • Brügge, Bernd : Über Gerhard Stoltenberg. Bonn, Verl.Bonn Aktuell 1982, GVK: 024753890

Weitere Literatur