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Wolfgang Beutin

Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Wolfgang Beutin lebte und arbeitete ab Anfang der 1980er-Jahre in Köthel.

Ausbildung

Nach dem Abitur an der Bremer Oberschule für Jungen studierte Wolfgang Beutin ab 1956 Germanistik und Geschichtswissenschaft an den Universitäten Hamburg und Saarbrücken. Er schloss seine Studien mit dem Staatsexamen 1961 und einer Dissertation zum Thema „Königtum und Adel in den historischen Romanen von Willibald Alexis“ 1963 ab.

Beruflicher Werdegang

1963–1968 war Wolfgang Beutin wissenschaftlicher Assistent, danach Lehrbeauftragter und 1977–1999 Dozent für Ältere deutsche Literatur am Germanischen Seminar der Universität Hamburg. 1973 war er Gastprofessor in Göttingen. 1996 habilitierte er sich mit der Studie „Obszönität und Literatur“ an der Universität Bremen für das Fach Vergleichende Literaturwissenschaft. 1990–2006 hatte er zudem einen Lehrauftrag für Sprachkritik an der Universität Oldenburg.

Bei seiner beruflichen Laufbahn an der Universität Hamburg musste Beutin starke Widerstände überwinden. Sein erstes Habilitationsgesuch wurde 1971 abgelehnt. Nachdem er bereits die Ernennung zum Dozenten auf dem Rechtsweg hatte durchsetzen müssen, klagte er ab 1981 in einem langwierigen Arbeitsgerichtsprozess seine Überleitung auf eine Professorenstelle ein. Die Universität hatte dies u. a. mit Hinweis auf seine marxistischen und psychoanalytischen Forschungsansätze abgelehnt. Das Verfahren endete 1999 mit einem Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht, bei dem Beutin eine höhere Entschädigungssumme zugesprochen wurde. Er verarbeitete diese Erfahrungen in der autobiografischen Gelehrtensatire „Das Hamburger Totengericht“ (2011).

Lebenslauf

Wolfgang Beutin war der älteste Sohn eines Bankbeamten und einer Kontoristin aus Bremen. Nach ihrer Ausbombung in Bremen floh die Familie 1942 zu Verwandten nach Güstrow, wo Beutin das letzte Kriegsjahr verbrachte. Die Erfahrung von Krieg und NS-Diktatur als Kind prägte seine lebenslange pazifistische und antifaschistische Grundhaltung.

Ab 1978 war Beutin in zweiter Ehe mit Heidi Beutin verheiratet, mit der er zahlreiche Fachtagungen und Publikationsprojekte durchführte. Das Paar zog 1981 von Hamburg in die Gemeinde Köthel (Stormarn).

Werk/Aktivitäten

Wolfgang Beutins Werk, darunter mehr als 70 selbstständige Buchveröffentlichungen, umfasst wissenschaftliche Monografien und Aufsätze, literarische Texte und politische Publizistik.

Als Wissenschaftler arbeitete er zur deutschen Sprach- und Literaturgeschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehörten die historisch-vergleichende Wortbedeutungslehre, Sprachkritik, Frauenmystik des Mittelalters, Literatur der Renaissance, die Geschichte ästhetisch-politischer Oppositionsbewegungen seit der Aufklärung und erotische Literatur. Methodisch verfolgte er seit den frühen 1970er-Jahren einen literaturpsychologischen Ansatz, den er mit sozialhistorischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen verband.

Literarisch trat Beutin zunächst v.a. durch Beiträge für den Rundfunk in Erscheinung, darunter eine Reihe historisch-politischer Hörspiele (1960–1965) für Radio Bremen und den Norddeutschen Rundfunk. Einem größeren Publikum wurde er durch die Aphorismensammlung „Invektiven, Inventionen“ (1971) und den vierteiligen Romanzyklus „Beelzow-Saga“ (1985–2016) bekannt, der als sein Hauptwerk gelten kann. Er erzählt darin die Geschichte einer fiktiven Bremer Familie vor dem Hintergrund der sozialen und politischen Umbrüche des 19. und 20. Jh.

In den 1960er-Jahren nahm Beutin starken Anteil am politischen Aufbruch der Studentenbewegung. 1960–1966 gab er die Zeitschrift „Lynx. Anmerkungen zu Literatur und Politik“ heraus. Zu seinem Netzwerk gehörten der aus dem Exil zurückgekehrte Schriftsteller Kurt Hiller sowie linksintellektuelle Autoren wie Karlheinz Deschner und Hans Wollschläger, mit denen er politisch und publizistisch eng zusammenarbeitete. 1968 war er Gründungsmitglied des Bunds demokratischer Wissenschaftler.

Beutin war im Vorstand der Deutschen Friedens-Union (DFU) aktiv und gehörte 1980 zu den Erstunterzeichnern des Krefelder Appells gegen die Aufstellung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Nachdem er sich politisch zuvor bereits in der SPD und der FDP engagiert hatte, war er zuletzt auf kommunaler Ebene in der Partei Die Linke im Kreis Stormarn aktiv. Zudem war Beutin in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) organisiert.

Bedeutung

Wolfgang Beutin gehörte zur Generation bundesdeutscher Linksintellektueller, die seit den 1960er-Jahren gegen reaktionäre Tendenzen in Politik, Gesellschaft und Hochschule auftraten und systemkritische Forschungsansätze und alternative literarische Sichtweisen erprobten.

Ehrenämter

1973–1980 Vorsitzender des Landesverbands Hamburg der Deutschen Friedens-Union (DFU), anschließend bis 1990 stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Schleswig-Holstein

Ehrungen und Preise

1956 und 1957 anteilig Kurt-Tucholsky-Preis für satirische Kurzprosa bzw. Lyrik der Zeitschrift „Studenten-Kurier“ (später: „konkret“)

1960 Arbeitsstipendium der Freien und Hansestadt Bremen für die „Dramatische Werkstatt“ in Salzburg

Besonderheiten

Wolfgang Beutin war Vater des Bundestagsabgeordneten Lorenz Gösta Beutin.

Persönlichkeiten

Heidi Beutin GND: 102907056
Karlheinz Deschner GND: 118524860
Kurt Hiller GND: 118551132
Hans Wollschläger GND: 118771221

Links

Nachruf Verband deutscher Schriftsteller*innen in ver.di (VS): https://kunst-kultur.verdi.de/literatur/vs/++co++692e1c84-b75d-11ed-90c8-001a4a160100 (Zugriff am 08.09.2024)

Familienname

Beutin

vollständige Vornamen

Paul-Wolfgang Ludwig

Rufname

Wolfgang

Geburtsdatum

02.04.1934

Geburtsort

Bremen

Sterbedatum

19.02.2023

Sterbeort

Köthel (Kreis Stormarn)

Begräbnisort

Friedhof Koberg (Kreis Herzogtum Lauenburg))

Geschlecht

männlich

Religion

konfessionslos

Berufe

Literaturwissenschaftler, Schriftsteller

Ehe-/Lebenspartner

1. Ehe (1963–1977): Elsbeth Eleonore Beutin, geb. Gebhard (geb. 1930); 2. Ehe (1978–2023): Heidi Beutin, geb. Seifert (geb. 1945)

Kinder

zwei Söhne

Eltern

Paul Gustav Beutin (1904–1985); Charlotte Beutin, geb. Teitge (1907–1981)

Strukturansicht

Literatur von der Person

  • Beutin, Wolfgang : Invektiven, Inventionen. Wiesbaden, Limes-Verlag 1971, DNB: 740624717
  • Beutin, Wolfgang : Das Weiterleben alter Wortbedeutungen in der neueren deutschen Literatur bis gegen 1800 [Neuausgabe: 2013]. Hamburg, Lüdke 1972, DNB: 720095921
  • Beutin, Wolfgang : Das Jahr in Güstrow. Roman [= Band 1 der „Beelzow-Saga"]. Dortmund, Weltkreis 1985, DNB: 850770181
  • Beutin, Wolfgang : Sexualität und Obszönität. Eine literaturpsychologische Studie über epische Dichtungen des Mittelalters und der Renaissance. Würzburg, Königshauses & Neumann 1990, GVK: 022814779
  • Beutin, Wolfgang : Von der Einführung des ,Pansexualismus' und des Klassenkampfs im Sanktuarium, oder: In welchem Lichte der Altgermanistik in Hamburg eine angebahnte „Neuorientierung“ erschien. In: Mauser, Wolfgang/Pitzcker, Carl (Hrsg.): Literatur und Psychoanalyse, Erinnerungen als Bausteine einer Wissenschaftsgeschichte, Würzburg. Königshauses & Neumann, 2008, S. 107–132, DNB: 986478741

Literatur

  • Wollschläger, Hans : Eine Randbemerkung für Wolfgang Beutin zur Resignation. In: Beutin, Wolfgang: Die Revolution tritt in die Literatur, Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte von Thomas Müntzer bis Primo Levi. Frankfurt am Main, Berlin [u.a.], P. Lang 1999, S. 11–24, DNB: 956423965
  • Hermand, Jost : Wolfgang Beutin – Engagement als Lebensform. In: Krieg und Frieden in der Literatur zu Zeugnissen aus Literatur und Publizistik der letzten drei Jahrhunderte. Kolloquium anlässlich des Beginns des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. Berlin, Helle Panke 2009, S. 5–9, DNB: 1000268004

Weitere Literatur