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1960er- und 1970er-Jahre in Stormarn

Im Zeitraum zwischen 1960 und 1980 fand in Stormarn jener Strukturwandel statt, der aus einem ländlichen Raum einen gewerblich-industriellen Wachstums- und Wohlstandsregion machte. Katalysator war die von der kreiseigenen Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft mbH (WAS) betriebene Ansiedlung zahlreicher Unternehmen. Dies führte führte zu einem raschen Bevölkerungsanstieg, zum Ausbau der Infrastruktur und zur Verstädterung des Kreises.

Ursachen und Vorgeschichte

Der Kreis Stormarn war auf Grund der Folgewirkungen des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937 territorial, wirschaftlich und bevölkerungsmäßig amputiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er mit einem enormen Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge und Vertriebene konfrontiert und sah sich in den 1950er-Jahren grundlegenden strukturellen Problemen ausgesetzt. Es fehlte in der Nachkriegszeit vor allem an Wohnraum, Arbeitsplätzen sowie an technischer und sozialer Infrastruktur.

Verlauf und Akteure

Gewerbe, Industrie und Bevölkerung

In den späten 1950er-Jahren setzte ein struktureller Wandel ein, der aus dem ländlich-agrarischen Stormarn eine gewerblich-industrielle Wachstumsregion machte. Katalysator war die Gründung der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn mbH (WAS) mit ihrer erfolgreichen Ansiedlungspolitik für Unternehmen unter ihrem langjährigen Geschäftsführer Max Klimmek. Der von 1957 bis 1975 amtierende Landrat Wennemar Haarmann prägte den Strukturwandel nicht zuletzt durch sein Engagement in Sachen Raumplanung. In Stormarn stieg der Industrieumsatz zwischen in seiner Amtszeit um 284%, die Zahl der Industriebeschäftigten um 174%. Damit verbunden war ein rasantes Bevölkerungswachstum: die sogenannte Bevölkerungssuburbanisierung mit Zuzug vor allem aus Hamburg. Diese Entwicklung war eingebettet in eine länderübergreifende Raumplanung. Sie diente dem Ziel, die gewerblich-industrielle und bevölkerungsmäßige Verdichtung innerhalb des Umlandes auf bestimmte Räume, die sogenannten Entwicklungsachsen, zu konzentrieren. Umgekehrt rückten Umweltaspekte ebenso wie Fragen des Landschafts- und Naturschutzes zunehmend in den Mittelpunkt. Letzteres zeigte sich etwa in einer in den späten 1970er-Jahren beginnenden Welle der Ausweisung von Naturschutzgebieten, zum Beispiel 1978 Brenner Moor bei Bad Oldesloe.

Ausbau der Verkehrsinfrastruktur

Die in den 1960er-Jahren einsetzende massenhafte Automobilisierung ermöglichte eine größere individuelle Mobilität, die auf einer rasch ausgebauten Verkehrsinfrastruktur basierte. Ein Großprojekt war die bereits in den 1950er-Jahren begonnene B 404 (heute teilweise A 21), die sich in Nord-Süd-Richtung durch den Kreis zog und die Anbindung Richtung Kiel verbesserte. Darüber hinaus erhielten Städte wie Bad Oldesloe (Nordtangente) und Ahrensburg (Ostring) großzügig dimensionierte Umgehungsstraßen, die auf gewachsene räumliche Strukturen nur begrenzt Rücksicht nahmen. Neben dem Individualverkehr spielte im Großraum Hamburg auch das weit ins Umland ausgreifende Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs eine wichtige Rolle. Der 1965 gegründete Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) umfasste nach und nach immer weitere Teile zunächst vor allem des südstormarnschen Raumes.

Verstädterungsprozesse

Diese Entwicklungen veränderten den Charakter des Kreises grundsätzlich. Das Dorf verlor seine bisherige wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle, die von ländlich-agrarisch-kleingewerblichen Zusammenhängen bestimmt worden war. Immer mehr übernahm das Dorf die partikulare Funktion des Wohnens – und zerfiel dabei in einzelne Teilsiedlungen. In größeren Orten kam es zu sichtbaren Verstädterungsprozessen. Sie fanden ihren Ausdruck im Hochhausbau und in der sogenannten City-Bildung, also der Schaffung innerörtlicher urbaner Zentren, wie beispielhaft in Ahrensburg und Glinde zu erkennen. Der hamburgnahe Raum wurde zunehmend suburbanisiert. Einzelne Orte erhielten Stadtrecht: Bargteheide 1970, Glinde 1979.

Landwirtschaft

In der Landwirtschaft bewirkte die in einem aufwändigen Verfahren gemeindeweise durchgeführte Flurbereinigung die Zusammenlegung von Wirtschaftsflächen. Dies diente einer rationelleren, großräumiigeren Bearbeitung und fand seine Entsprechung in der Technisierung einerseits und Konzentration landwirtschaftlicher Betriebe zu größeren Einheiten andererseits. Insgesamt nahm die Zahl der Betriebe deutlich ab - bekannt geworden als sogenanntes Höfesterben. Ebenso verringerte sich die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft.

Kommunale Neuordnungen

Die rasch steigenden Bevölkerungszahlen stellten die kommunalen Verwaltungen vor neue Herausforderungen, vor allem im Bereich der technischen und sozialen Infrastruktur. Kleinere Kommunen konnten diese Aufgaben nicht mehr bewältigen. So kam es in Stormarn - wie auch allgemein in Schleswig-Holstein und im übrigen Deutschland - in den 1970er-Jahren zu Gemeindezusammenlegungen. Dadurch verringerte sich bis 1978 sich die Zahl der selbstständigen Gemeinden in Stormarn von 70 auf 55. Die Zahl der Ämter wurde auf fünf reduziert. Im Zuge der lange Zeit umstrittenen kommunalen Neuordnung im Raum des heutigen Norderstedt wurden die stormarnschen Gemeinden Harksheide und Glashütte mit der 1970 per Landesgesetz gebildeten Stadt Norderstedt dem Kreis Segeberg zugeschlagen. Durch die Anfang der 1970er-Jahre erfolgte Neuordnung im Raum Südstormarn verlor unter anderem Schönningstedt seine Selbstständigkeit und kam zu Reinbek, während Teile von Stemwarde und Willinghusen Glinde zugeschlagen wurden.

Kultur und Lebensweise

Der Strukturwandel zog nicht zuletzt die Ausrichtung von Lebensweise und Lebensstandards an urbanen Leitbildern nach sich. Der Alltag wurde dank der massenhaften Verbreitung des PKWs von zunehmender Mobilität geprägt, die vor allem in die Städte des Kreises sowie Richtung Hamburg orientiert war. Durch die Aufgabe von Dorfläden und Dorfschulen wurden die Wege im ländlichen Raum länger. Der zentral gelegene Supermarkt wurde zum Symbol des Massenkonsums und der allmählichen Anpassung an städtische Standards. Zugleich brachten die nun eingerichteten Dorfgemeinschaftshäuser veänderte Formen gesellschaftliches Leben hervor, das teils von den klassischen Vereinen und Institutionen wie Feuerwehr, teils von neuen Formen der Kulturarbeit getragen wurde. Eine eigenständige Jugendkultur zeigte sich sich seit den späten 1960er-Jahren unter anderem in der Diskotheken-Szene, aber auch in einer starken Politisierung und institutionalisiert in selbstverwalteten Jugendzentren, wie in Bargteheide. In den späten 1970er-Jahren sind in Ahrensburg und Bad Oldesloe die Anfänge der Frauenbewegung erkennbar.

Folgewirkungen und heutige Bedeutung

Die regionale Modernisierung ließ in Stormarn aus einer ländlich-kleingewerblich geprägten Region mit großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen bis heute einen der wohlhabendsten Landkreise in Deutschland entstehen. Kennzeichen sind niedrige Arbeitslosikgkeit und eine relativ krisenfeste Mischung aus mittelständischen Unternehmen. Verkehrstechnisch ist Stormarn hervorragend erschlossen. Dank gezielter Raumplanungspolitik ist der Kreis attraktiv für weiteren Bevölkerungszuzug geblieben. Neben den verdichteten Entwicklungsachsen sowie im direkten Hamburg-Randgebiet konnten durch die Ausweisung von Landschafts- und Naturschutzgebieten weite Flächen freigehalten werden. Sie dienen teilweise der Naherholung.

Besonderheiten

Der Kreis Stormarn zählte - neben dem Kreis Pinneberg - mit seiner Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft mbH (WAS) zu einem der ersten Landkreise in Norddeutschland, die aktive Standortpolitik für Unternehmensansiedlungen betrieben.

Persönlichkeiten

Wennemar Haarmann GND: 106269306X
Max Klimmek

Strukturansicht

Literatur

  • Norbert Fischer : Die modellierte Region. Stormarn und das Hamburger Umland vom Zweiten Weltkrieg bis 1980. Neumünster, Wachholtz 2000, GVK: 320758400

Weitere Literatur