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Minna Specht

Die in Reinbek geborene Reformpädagogin Minna Specht engagierte sich in der Landerziehungsheimbewegung und war 1926 Mitbegründerin des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds.

Ausbildung

Minna Specht besuchte ab 1884 eine Privatschule in der Landgemeinde Reinbek und schloss 1894 die private Höhere Mädchenschule Bergedorf ab.

1899 legte sie nach dreijähriger Ausbildung am Seminar der Klosterschule St. Johannis in Hamburg die Prüfung für das Lehramt an Höheren Mädchenschulen ab.

1906–1909 studierte sie in Göttingen und München Geschichte, Geografie und Geologie mit dem Abschluss als Oberlehrerin. 1914/15 folgte ein Mathematik- und Philosophiestudium in Göttingen.

Beruflicher Werdegang

1899–1902 arbeitete Minna Specht als Erzieherin bei einer Familie des hinterpommerschen Landadels, anschließend als Lehrerin an der Höheren Mädchenschule von Mary Henckel in Hamburg. 1914/15 war sie Erzieherin auf dem Gut der Familie von Werthern in Großneuhausen (Thüringen), 1917/18 Oberlehrerin an der Elisabeth-Schule in Berlin-Lichterfelde sowie 1918/19 im Landerziehungsheim Haubinda (Thüringen) des Reformpädagogen Hermann Lietz.

Mit dem Göttinger Professor für Philosophie Leonard Nelson, einem Vertreter des ethischen Sozialismus, gründete sie 1917 den Internationalen Jugendbund (IJB) als Erziehungsgemeinschaft mit strengen Regeln für die Mitglieder.

1919 lehnte das preußische Kultusministerium den Plan von Nelson, Lietz und Specht zur Einrichtung staatlich finanzierter Landerziehungsheime ab, daraufhin gründeten sie 1922 die Philosophisch-Politische Akademie (PPA) zur Verbreitung und praktischen Umsetzung von Nelsons Werk.

Nach dem Ausschluss der IJB-Mitglieder aus KPD und SPD waren Specht und Nelson 1926 Mitbegründer des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK) zur Fortsetzung der Arbeit des IJB als „Partei der Vernunft“. Die politische Schulung der Mitglieder fand z. B. in dem Melsunger Landerziehungsheim Walkemühle statt, dessen Leitung Specht Ende 1924 von dem Reformpädagogen Ludwig Wunder übernommen hatte.

Dreijährige Kurse für junge Erwachsene zielten durch strenge Charakterschulung auf die Ausbildung von Führungspersönlichkeiten. Die Kinderabteilung basierte dagegen auf Ansätzen wie Nelsons sokratischem Gespräch als gleichberechtigtem Austausch, erfahrungsbezogenem, selbsttätigem Lernen, Exemplarität und Anschaulichkeit als Basis für eigene Urteilsbildung sowie Erziehung zum Selbstvertrauen. Mäzene und die unentgeltliche Arbeit der Erzieher sowie die PPA als Trägerin ermöglichten Arbeiterkindern den Schulbesuch.

1931/32 arbeitete Specht in Berlin bei der vom ISK herausgegebenen Tageszeitung „Der Funke“.

1933 schlossen die Nationalsozialisten die Walkemühle. Specht ging mit Schülern und Kollegen ins dänische Exil, wo sie den Schulbetrieb fortführte. Mangels Anmeldung von neuen Schüler/innen zog die Schule 1938 nach Cwmavon (Wales). Eine Angliederung an ein Projekt der Quäker für arbeitslose Bergarbeiter scheiterte. Im April 1940 erfolgte der Umzug auf den Herrenhof Butcombe Court bei Bristol, um eine internationale Schule einzurichten. Im Juni 1940 wurde Specht von britischen Behörden als „feindliche Ausländerin“ verhaftet und die Schule geschlossen. Nach ihrer Internierung auf der Isle of Man, wo sie eine Lagerschule initiierte und leitete, lebte sie ab Sommer 1941 in London und war 1942 für die Fabian Society tätig.

Als Mitbegründerin des German Educational Reconstruction Committee (G.E.R.) 1943 legte sie mit ihrem programmatischen Werk „Gesinnungswandel“ ein Konzept für die Umerziehung der nationalsozialistisch geprägten Jugend nach dem Krieg sowie die demokratiefördernde Umstrukturierung des Schulsystems vor, das auf die Erziehung zu Friedensbereitschaft, Weltbürgertum und konstruktiver Toleranz zielte.

1946–1951 erprobte Specht als Leiterin der reformpädagogischen Odenwaldschule in Heppenheim (Hessen) innovative Modelle von Oberstufenkursen sowie Gesamt-, Ganztags- und Werkstudienschule, konnte aber die geplante soziale Öffnung der Schule nicht umsetzen.

1950–1958 war sie Mitherausgeberin der pädagogischen Ratgeberreihe „Kindernöte“, 1950–1959 Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission und 1952–1954 Mitarbeiterin am UNESCO-Institut für Pädagogik in Hamburg. 1953–1959 fungierte sie als Inspektorin der Vereinigung der Landerziehungsheime.

Lebenslauf

Minna Specht wuchs auf Schloss Reinbek auf, das ihre Mutter nach dem Tod des Ehemanns als Sommerresidenz für wohlhabende Hamburger Familien führte.

Ab 1954 lebte sie mit ihrer ISK-Genossin Grete Henry-Hermann in Bremen.

Bedeutung

Minna Specht hat in ihrer Zeit innovative Bildungskonzepte entwickelt, die Themen wie Chancengleichheit, Internationalität, Friedensbildung und Flucht berühren.

Ehrenämter

ab 1918 Vorstandsmitglied im IJB
ab 1927 Leitung des ISK mit Willi Eichler
ab 1927 Leitung der PPA, ebenso nach deren Wiedergründung 1949

ab 1947 Mitglied des hessischen Landesschulbeirats

Vorstands- bzw. Kuratoriumsmitglied verschiedener Landerziehungsheime
ab 1952 Vorsitzende der Vereinigung der Landerziehungsheime

Ehrungen und Preise

1955: Goethe-Plakette des Landes Hessen
Minna-Specht-Eck, Göttingen
Minna-Specht-Schule in Reutlingen und Frankfurt am Main

Besonderheiten

Minna Specht unterzeichnete 1932 als eine von 26 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur den „Dringenden Appell“ für einen Zusammenschluss von SPD und KPD.

Ihr Nachlass befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn sowie in der Sammlung Pädagogisch-Politische Emigration in Frankfurt am Main.

Persönlichkeiten

Leonard Nelson GND: 118586947
Hermann Lietz GND: 118728229
Ludwig Wunder GND: 138481482
Grete Henry-Hermann GND: 124635849

Links

Geschichte und Konzept des Landerziehungsheims Walkemühle: www.allerart.de/walkemuehle/walkemuehle-01.html www.landerziehungsheim-walkemuehle.de (beide Zugriff am 06.01.2024)

Familienname

Specht

vollständige Vornamen

Minna

Geburtsdatum

22.11.1879

Geburtsort

Reinbek

Sterbedatum

03.02.1961

Sterbeort

Bremen

Begräbnisort

Friedhof Klosterbergen, Reinbek

Geschlecht

weiblich

Religion

Bis zu ihrem Kirchenaustritt 1917 evangelisch

Berufe

Pädagogin

Eltern

Wilhelm Specht (1842–1882); Mathilde Specht, geb. Bruhn (1849–1926)

Strukturansicht

Literatur von der Person

  • Re-making Germany. London, International publishing company 1945, GVK: 498130630
  • Specht, Minna : Gesinnungswandel, Beiträge zur Pädagogik im Exil und zur Erneuerung von Erziehung und Bildung im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main, Peter Lang 2005, GVK: 50108536X
  • Haben kleine Kinder Sorgen?. Frankfurt am Main, Verl. Öffentliches Leben 1954, In: Gibt es auch im GVK unter 177268786 dort Minna Specht als Hg., bitte prüfen, DNB: 452408482

Literatur

  • Hansen-Schaberg, Inge : Minna Specht – eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918 bis 1951). Untersuchung zur pädagogischen Biographie einer Reformpädagogin. Frankfurt am Main [u. a.], Lang 1992, GVK: 026357836
  • Engelmann, Sebastian : Pädagogik der sozialen Freiheit, eine Einführung in das Denken Minna Spechts. Paderborn, Ferdinand Schöningh 2019, In: Gibt es auch bei GVK unter 1022395211, DNB: 1158683936
  • Nielsen, Birgit S. : Erziehung zum Selbstvertrauen ein sozialistischer Schulversuch im dänischen Exil 1933–1938. Weinheim, Dt. Studien-Verl. 1999, GVK: 26796479X
  • Link, Werner : Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK), ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan, Verlag Anton Hain 1964, GVK: 1072497824
  • Erziehung und Politik, Minna Specht zu ihrem 80. Geburtstag. Frankfurt am Main, Verl. Öffentliches Leben 1960, GVK: 016169980

Weitere Literatur