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Groß-Hamburg-Gesetz

Das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 brachte Hamburg bedeutende Gebietserweiterungen im bisherigen Umland. Der Kreis Stormarn war durch den Verlust zahlreicher, auch wirtschafts- und bevölkerungsstarker Gemeinden erheblich betroffen.

Ursachen und Vorgeschichte

Die Groß-Hamburg-Frage war aufgrund des raschen Wachstums Hamburgs bereits im frühen 20. Jahrhundert auf der Tagesordnung. 1915 und 1921 hatte der Hamburger Senat zwei Denkschriften zur Erweiterung des Hamburger Stadtgebietes ausgearbeitet. Die Städte Wandsbek, Altona und Harburg sowie weitere Gebiete lagen damals außerhalb der Stadtgrenzen und gehörten zu Preußen. Der Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher entwarf einen Plan zur zukünftigen Entwicklung Hamburgs (sogenanntes Achsenkonzept), das sich nicht an den politischen Grenzen, sondern an den ins Umland führenden Verkehrswegen orientierte. 1928 bildeten Hamburg und Preußen einen gemeinsamen Landesplanungsausschuss, der aber bis 1933 keine umsetzbaren Ergebnisse brachte. Die Zeit der NS-Diktatur machte alle Ansätze einer planerischen Zusammenarbeit zunichte.

Verlauf und Akteure

Als Groß-Hamburg-Gesetz wird das unter dem Nationalsozialismus oktroyierte, am 01.04.1937 in Kraft getretene und bis zum 01.04.1938 vollzogene Gesetz zur Neugliederung des Großraumes Hamburg bezeichnet. Ziel war es, durch territoriale Expansion die Wirtschaftskraft Hamburgs, nicht zuletzt den Hafen und seine Industrien, zu bündeln und damit zu stärken. Im Hintergrund stand das Ziel, Hamburg zu einer "Führerstadt" auszubauen. Zu diesem Zweck sollten die als zu eng empfundenen Stadtgrenzen ausgedehnt werden. Die geplante Aufwertung Hamburgs durch die Nationalsozialisten nutzten der Erste Bürgermeister Carl Vincent Krogmann und der NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann in Berlin zu einer an den Interessen Hamburgs ausgerichteten territorialen Erweiterung. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei der NSDAP-Politiker Hermann Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident. Die Neuregelung wurde ohne Beteiligung der betroffenen Umlandkreise durchgesetzt.

Das Groß-Hamburg-Gesetz umfasste im Wesentlichen die Eingemeindung zahlreicher zuvor preußischer Gemeinden bzw. Stadtkreise nach Hamburg, darunter Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek. Die Hansestadt wuchs dadurch flächenmäßig um 80%, bevölkerungsmäßig um 41%. Der Kreis Stormarn verlor die zwölf Gemeinden Bergstedt, Billstedt, Bramfeld, Duvenstedt, Hummelsbüttel, Lemsahl-Mellingstedt, Lohbrügge, Poppenbüttel, Rahlstedt, Sasel, Steilshoop und Wellingsbüttel. Das bedeutete einen Verlust an Bevölkerung von 67.060 Einwohner und an Fläche von 128,43 km2. Umgekehrt kamen lediglich die bisherige Hamburger Exklave Großhansdorf-Schmalenbeck neu zum Kreis Stormarn. Auch die früher stormarnsche, dann kreisfreie Stadt Wandsbek fiel an Hamburg, dennoch verblieb ihr die Kreisverwaltung bis August 1943.

Für Stormarn waren die Gebiets- und Bevölkerungsabtretungen mit einem erheblichen Verlust an wirtschaftlicher Substanz verbunden, denn der Kreis musste die meisten seiner gewerblich-industriell entwickelten Gebiete – wie Billstedt, Bramfeld und Lohbrügge – abtreten.

Das Groß-Hamburg-Gesetz beendete zunächst auch alle Ansätze einer gemeinsamen Planungsarbeit zwischen Hamburg und Preußen bzw. Stormarn. Auf Stormarner Seite war es Landrat Friedrich Knutzen, der die Probleme einer massenhaft aus Hamburg ins Umland abwandernden Bevölkerung frühzeitig erkannte und 1925 die Kreisbaubehörde eingerichtet hatte. Knutzen fasste seine Erkenntnisse 1933 in einer 172-seitigen, mit reichhaltigem empirischen Material versehenen Studie mit dem Titel „Denkschrift über die Wanderungs- und Siedlungsvorgänge im Unterelbegebiet“ zusammen. Unter der NS-Herrschaft wurde der liberale Knutzen seines Amtes im März 1933 enthoben.

Auch für übrige Teile des Hamburger Umlandes brachte das Groß-Hamburg-Gesetz einschneidende Veränderungen. Neben Wandsbek kamen Altona und Harburg-Wilhelmsburg zu Hamburg. Insgesamt erhielt Hamburg 27 Gemeinden der Kreise Stormarn, Pinneberg, Harburg und Stade. Umgekehrt fielen - neben Großhansdorf und Schmalenbeck - Geesthacht an die preußische Provinz Schleswig-Holstein, die Stadt Cuxhaven, das Amt Ritzebüttel und die Insel Neuwerk an die preußische Provinz Hannover. Die staatsrechtliche Überleitung wurde bis zum 01.04.1938 abgeschlossen. In Cuxhaven behielt Hamburg bis auf Weiteres noch Rechte an bestimmten Hafengebieten (bis 1992).

Das Groß-Hamburg-Gesetz brachte in Norddeutschland noch weitere bedeutende Gebietsveränderungen mit sich. Unter anderem kam das bisher eigenständige Land Lübeck zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die lübeckischen Exklaven im Kreis Herzogtum Lauenburg wurden aufgelöst. Die bisher zur preußischen Provinz Hannover gehörende Stadt Wilhelmshaven wurde mit der oldenburgischen Stadt Rüstringen zur Stadt Wilhelmshaven vereinigt, die zum Freistaat Oldenburg kam.

Folgewirkungen und heutige Bedeutung

Das Groß-Hamburg-Gesetz sorgte dafür, dass der Kreis Stormarn räumlich, wirtschaftlich, bevölkerungsmäßig und infrastrukturell amputiert wurde. Die wichtigsten der ohnehin wenigen Industriestandorte gingen verloren. Die dadurch verursachten Probleme zeigten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Stormarn einer massiven Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen ausgesetzt sah. Für diese standen weder ausreichend Wohnraum noch Arbeitsplätze und soziale Infrastruktur zur Verfügung. Immerhin wurden unter den neuen territorialen Bedingungen die in der Weimarer Republik begonnenen Ansätze einer grenzübergreifenden Raumplanung zwischen Hamburg und dem Umland seit den 1950er-Jahren schrittweise wieder aufgenommen. Das Schumacher'sche Achsenkonzept spielte dabei eine grundlegende Rolle.

Besonderheiten

Das nationalsozialistische Hamburg feierte das Groß-Hamburg-Gesetz am 31.03.1937 mit einem Festakt im Rathaus und einer Kundgebung von rund 30.000 NSDAP-Anhängern.

Persönlichkeiten

Carl Vincent Krogmann, GND: 118566970
Hermann Göring, GND: 118540157
Karl Kaufmann, GND: 119367270
Fritz Schumacher, GND: 118611585
Friedrich Knutzen, GND: 116262710

Beginn

01.04.1937

Ende

01.04.1938

Orte

Hamburg; Städte Wandsbek, Altona, Harburg-Wilhelmsburg; Kreise Stormarn und Pinneberg, Landkreise Harburg und Stade; Stadt Cuxhaven, Amt Ritzebüttel, Insel Neuwerk; Geesthacht; Großhansdorf, Schmalenbeck

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