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Alfred Rust

Der Prähistorische Archäologe Alfred Rust aus Ahrensburg entdeckte international relevante Fundplätze im Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal.

Ausbildung

Nach dem Besuch der Volksschule und einer Ausbildung zum Elektrotechniker legte Alfred Rust 1919 seine Gesellenprüfung ab, 1926 folgte die Meisterprüfung. An der Hamburger Volkshochschule belegte er 1923–1928 Kurse in Kunstgeschichte, Biologie sowie in Vorgeschichte bei Gustav Schwantes.

1940 wurde Rust die Ehrendoktorwürde der Universität Kiel verliehen. 1942 habilitierte er sich dort.

Alfred Rust (vorn) am Borneck anlässlich des 5. Internationalen Kongresses für Vor- und Frühgeschichte, 1958

Beruflicher Werdegang

Ab 1922 arbeitete Alfred Rust als Elektriker bei einer Hamburger Elektrofirma. 1930 kündigte er, um seinem Interesse an der Archäologie nachzugehen. Zunächst lebte er von Arbeitslosenunterstützung und führte seine Forschungen auf eigene Kosten sowie ohne institutionelle Anbindung durch.

Ab September 1930 reisten er und ein Freund acht Monate mit dem Fahrrad in den Nahen Osten, um – angeregt durch Schwantes und die Askalonien-Theorie – nach steinzeitlichen Artefakten zu suchen. In Yabrud (Syrien) entdeckte Rust Halbhöhlen, in denen er über 100 Steinzeitartefakte fand und einen Großteil nach Erhalt einer Ausfuhrgenehmigung an Museen und Sammler verkaufte. In den folgenden drei Jahren unternahm er weitere Reisen per Schiff und Rad in die Gegend. Mit einheimischen Hilfskräften konnte er in drei Halbhöhlen insgesamt 45 aufeinanderfolgende Kulturschichten freilegen und somit erstmals lückenlos Spuren einer Zeitspanne von ca. 150.000 Jahren Siedlungsgeschichte nachweisen.

Parallel wandte sich Rust seiner näheren Umgebung zu. Nach Oberflächenfunden von Feuersteinwerkzeugen seit Anfang des 20. Jahrhunderts nahe der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck entdeckte Rust ab 1932 beim Ortsteil Meiendorf der Landgemeinde Rahlstedt (heute zu Hamburg) Hunderte weitere. Schwantes und er vermuteten Relikte von Eiszeitjägern, sodass Rust nach ehemaligen Siedlungsplätzen an verlandeten Gewässern im eiszeitlich geprägten Tunneltal suchte. Bei einer Probegrabung ab August 1933 wurde erstmals organisches Material gefunden und somit eine Datierung ermöglicht.

Ab Mai 1934 folgte die von Rust im Auftrag des Kieler Museums Vaterländischer Alterthümer unter Schwantes durchgeführte, auf ca. 800 m² angelegte Hauptgrabung. Er verfügte über Kräfte des Reichsarbeitsdienstes und praktizierte eine damals noch ungewöhnliche interdisziplinäre Teamarbeit. Die Grabung ergab eine hohe Fundmenge wie Feuersteinwerkzeuge, Geräte aus Geweih sowie Knochen und auch einige Bernsteinartefakte. Rust wies somit nach, dass bereits in der späten Eiszeit Menschen der von Schwantes so bezeichneten Hamburger Kultur als Rentierjäger in Norddeutschland siedelten.

Ab Herbst 1934 folgten Untersuchungen am Hügel Stellmoor, die 1935/36 auf eine Fläche von 1.000 m² ausgeweitet wurden und knapp 30.000 Funde ergaben. Dadurch konnte Rust die Abfolge von Hamburger Kultur und späterer Ahrensburger Kultur nachweisen. Einen bearbeiteten Holzpfahl deutete Rust als Kultpfahl. Aufgrund von Rentierskeletten mit einem Stein im Brustkorb interpretierte er mehrere Fundstellen als Opferteich für religiöse Rituale. 1937–1939 sowie nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Grabungen am Pinnberg. 1941 und 1947 am Wohnplatz Hopfenbach-Aalfang gefundene, bearbeitete Weidenstämme deutete Rust als Götzengruppe.

Anfangs finanziell gefördert durch die Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe e. V., hatte Rust ab April 1939 bis zu seinem Ruhestand eine Stelle als wissenschaftlicher Angestellter bei der Provinzialstelle für vor- und frühgeschichtliche Landesaufnahme und Bodendenkmalpflege inne.

Während des Zweiten Weltkriegs hielt Rust sich 1940–1944 mehrfach für Grabungen und Studienbesuche in Italien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Frankreich, der Schweiz sowie den Kulna-Höhlen bei Brünn (heute Brno, Tschechien) auf.

1946–1948 leitete er die Grabungen am Borneck sowie ab 1951 am Poggenwisch, wo mit dem Stab von Poggenwisch eines der ältesten erhaltenen Kunstwerke Nordeuropas aus der Späteiszeit gefunden wurde. Ab den 1950er-Jahren wandte er sich der Suche nach den ältesten Werkzeugen der Menschheit zu. Seine Interpretation von Funden u. a. von Sylt 1952, aus Thüringen sowie Mauer bei Heidelberg als Heidelberger Kultur konnte sich im Fach allerdings nicht durchsetzen.

1957–1959 war Rust Lehrbeauftragter für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Hamburg. Bis zu seinem Ruhestand 1965 führte er weitere Flächengrabungen u. a. bei Hasewisch durch und war auch danach an Grabungen im Tunneltal beteiligt.

Alfred Rust in seinem Wohnhaus, 1975

Lebenslauf

Alfred Rust wuchs mit seinem Bruder bei seiner alleinerziehenden Mutter im Hamburger Grindelviertel auf. Ende des Ersten Weltkriegs diente er als Freiwilliger eines Pionierbataillons an der Westfront.

Nach seiner Heirat 1934 lebte er mit seiner Familie in Ahrensburg nahe des Tunneltals.

1943/44 meldete sich Rust freiwillig zur Waffen-SS und wurde dem Persönlichen Stab Reichsführer SS zugeteilt. Als unabkömmlich vom Militärdienst zurückgestellt, durfte er als Mitglied der Forschungsgemeinschaft Das Ahnenerbe e. V. weiterhin seine Forschungen ausüben. Da er im Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg seine Mitgliedschaften verschwieg, wurde er als „unbelastet“ eingestuft.

Alfred Rust präsentiert vor der Presse Ausgrabungsfunde, 1952

Bedeutung

Obwohl Alfred Rust keine akademische Ausbildung besaß, war er wegen seiner Funde insbesondere im Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal in internationalen Fachkreisen anerkannt. Seine Deutungen der Opferrituale und religiös genutzten Objekte blieben im Fach jedoch ebenso umstritten wie seine Versuche, sich in die Gedankenwelt der damals lebenden Menschen einzufühlen.

Durch Rusts Entdeckungen wurden die Begriffe Ahrensburger Kultur bzw. Ahrensburger Stufe geprägt.

In der NS-Zeit profitierte Rust von seinen Beziehungen, sodass er ungehindert seine Forschungen und Auslandsreisen fortführen konnte. Anlässlich der zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2000 geplanten Feierlichkeiten entwickelte sich in Ahrensburg eine monatelange Kontroverse über seine Rolle in der NS-Zeit, die Aussetzung der Benennung des Wanderwegs sowie eine mögliche Aberkennung der Ehrenbürgerschaft. Bereits Anfang der 1970er-Jahre verhinderte wohl Rusts Mitgliedschaft in der Waffen-SS die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.

Zur Bewertung seiner Rolle in der NS-Zeit sowie zu Details der Auslandsgrabungen während des Zweiten Weltkriegs ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Biografie sowie die Auswertung seines Nachlasses in Vorbereitung.

Ehrenämter

1932 Mitbegründer Hamburger Vorgeschichtsverein von 1932
1942 Korrespondierendes Mitglied Istituto Italiano di Paleontología Umana, Rom
1953 Mitglied Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg
1955 Mitglied Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle
1957 Korrespondierendes Mitglied Istituto Italiano di Preistoria e Protohistoria, Florenz
1958 Korrespondierendes Mitglied Deutsches Archäologisches Institut, Berlin
1970 Korrespondierendes Mitglied Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Ehrungen und Preise

1937 Ehrenmitglied Naturwissenschaftlicher Verein Hamburg
1965 Ehrenmitglied Universität zu Köln
1965 Ehrenbürger der Stadt Ahrensburg
1966 Albrecht-Penck-Medaille der Deutschen Quartär-Vereinigung

1975–1992 Alfred-Rust-Schule, Ahrensburg. Nach der Umbenennung der Schule besteht dort noch der Alfred-Rust-Saal.

Nahe der U-Bahnstation Ahrensburg-Ost erinnert ein Gedenkstein an die von Rust ausgewerteten Fundstellen.

Seit 2005 führt ein nach Rust benannter Wanderweg durch das Ahrensburg-Stellmoorer Tunneltal. 2014 wurde am Aalfang eine Replik der "Götzengruppe" aufgestellt.

Alfred Rust (re.) bei der Eröffnung des Stormarnschen Dorfmuseums, 1978

Besonderheiten

Nach Alfred Rusts Funden nahm die Stadt Ahrensburg 1938 einen stilisierten Kultpfahl samt Rengeweih in ihr Wappen auf und übertrug ihn auch in das 1976 überarbeitete Wappen.

Im Rathaus Ahrensburg ist eine von dem Bildhauer Jürgen Block geschaffene Bronzebüste Rusts aufgestellt.

Die meisten Funde der Grabungen im Tunneltal befinden sich im Museum für Archäologie Schloss Gottorf sowie einige im Stormarnschen Dorfmuseum Hoisdorf, das auch Kopien zeigt. Fundstücke aus Yabrud erwarb die Lehrsammlung des Kölner Instituts für Ur- und Frühgeschichte.

Nachdem die im Tunneltal gefundenen Holzpfeile im Zweiten Weltkrieg in Kiel verbrannt waren, wurde 2013 in Rusts Nachlass noch ein ca. 12.000 Jahre altes Fragment entdeckt, das demnach als ältester noch erhaltener hölzerner Pfeilschaft der Menschheit gilt.

Persönlichkeiten

Gustav Schwantes GND: 118762842
Herbert Jankuhn GND: 119484331

Familienname

Rust, geb. Biesterfeld

vollständige Vornamen

Alfred Friedrich

Rufname

Alfred

Geburtsdatum

04.07.1900

Geburtsort

Hamburg

Sterbedatum

14.08.1983

Sterbeort

Ahrensburg

Begräbnisort

Friedhof Ahrensburg

Geschlecht

männlich

Religion

evangelisch

Berufe

Elektromeister, Archäologe, Prähistoriker

Ehe-/Lebenspartner

Elise Maria Olga Rust, geb. Martens (1908-1992)

Kinder

eine Tochter, ein Sohn

Eltern

Georg Wilhelm Lorenz Rust (1877-1958); Maria Margaretha Rust, geb. Biesterfeld (1870-1953)

Strukturansicht

Literatur von der Person

  • Rust, Alfred : Das altsteinzeitliche Rentierlager Meiendorf. Neumünster, Wachholtz 1937, GVK: 1829024760
  • Rust, Alfred : Vor 20000 Jahren eiszeitliche Rentierjäger in Holstein. Neumünster, Wachholtz 1937, GVK: 1147981043
  • Rust, Alfred : Jallah Jallah auf Urmenschsuche mit Fahrrad, Zelt und Kochtopf. Wiesbaden, Brockhaus 1952, GVK: 178669628
  • Rust, Alfred : Die alt- und mittelsteinzeitlichen Funde von Stellmoor. Neumünster in Holstein, Wachholtz 1943, GVK: 136384129
  • Rust, Alfred : Die Höhlenfunde von Jabrud (Syrien). Neumünster, Wachholtz 1950, GVK: 1143364724

Literatur

  • Clausen, Ingo : 30000 Funde im Ahrensburger Tunneltal Alfred Rust und seine bahnbrechenden Entdeckungen. In: Welt im Wandel, Darmstadt: Theiss, 2016, (2016), S. 32–39, GVK: 875835791
  • Erdelbrock, Georg : Eine Kleinstadt und ihr Ehrenbürger LeserInnenbriefe zu einer Debatte um die Mitgliedschaft des Prähistorikers Alfred Rust im „Ahnenerbe“ und der Waffen-SS. 2001, In: Museale und mediale Präsentationen in KZ-Gedenkstätten, Bremen: Ed. Temmen, 2001, (2001), 6, S. 134–139, GVK: 569148936
  • Ickerodt, Ulf F. : Unterm Strich: Kein Mutiger Aufsatz in schwieriger Zeit von Alfred Rust (1900–1983) eine forschungsgeschichtliche Einordung von Gernot Tromnaus unkritischer Würdigung. 2016, In: Jahrbuch für den Kreis Stormarn ..., Großhansdorf: ProFunda-Verl., 1983, 35(2017), S. 60–72, GVK: 894105434
  • Möller, Claus : Über die Forschung des Archäologen Alfred Rust Jallah Jallah! Viermal per Fahrrad in den Vorderen Orient 1930 bis 1933. Auszug aus dem Vortrag zum 100. Geburtstag des Forschers am 4 Juli 2000. 2000, In: Jahrbuch für den Kreis Stormarn ..., Großhansdorf: ProFunda-Verl., 1983, 19(2001), S. 104–115, GVK: 1006286233
  • Dr. h.c., Dr. habil. Alfred Rust Ehrenbürger unserer Stadt. Ahrensburg, Historischer Arbeitskreis 2003, GVK: 49103637X

Weitere Literatur